Waldbaden – Ein Impuls, sich mit der Natur zu verbinden und das Gefühl zu haben, einfach zu Sein
- Saskia Schleyer
- 3. Aug. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Aug. 2023
Ich habe Angst vor dem Wald. Das ist mein erster Gedanke, nachdem ich erfahren habe, dass ich eine Reportage zum Thema Wald schreiben soll. Dann habe ich aber dennoch ein sehr interessantes Thema gefunden: Das Waldbaden. Im ersten Moment denke ich, dass es sehr nach einem esoterischen Firlefanz klingt. Also starte ich den Selbstversuch, um herauszufinden, ob es das wirklich ist oder ob es doch etwas bringt.
Es ist der 11. Juni und heute ist der Tag der Tage: Ich werde das erste Mal Waldbaden. Dafür brauche ich lediglich eine Sitzunterlage. Treffpunkt ist der Waldparkplatz, den ich erstaunlicherweise sehr leicht finde. An dieser Waldbad-Session nehmen noch drei andere Frauen teil. Eine davon macht diese Erfahrung genau wie ich, heute das erste Mal. Da habe ich mich direkt wohler gefühlt. Die Leiterin Sandra Opel ist auch bereits vor Ort. Pünktlich um 10 Uhr geht es schließlich los.
Die erste Station ist direkt am Waldeingang. Es beginnt mit einem meditativen Einstieg. Die Leiterin Sandra Opel lädt uns dazu ein, unsere sechs Sinne zu spüren: hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen. Der sechste Sinn ist, wie Frau Opel so schön sagt, die Intuition. Im Gespräch, welches ich im Nachhinein mit ihr führe, erklärt sie: „Waldbaden ist ein bewusstes Sein in der Natur, wo man seine Sinne öffnet. Es geht beim Wald darum in Kontakt mit der Natur zu kommen und dann auch über die Natur mit sich selbst.‘‘ Das Hauptmotto, was uns direkt zu Beginn vermittelt wird, ist: „Alles kann, aber nichts muss‘‘. Ich spüre den Boden unter den Füßen und stelle mir eine Verbindung mit der Mutter Erde vor. Sandra Opel beschreibt es so, als würden wir der Erde ,,Hallo‘‘ sagen. Anschließend zieht jeder von uns eine Karte, auf der eine Pflanze abgebildet ist, die in der aktuellen Jahreszeit blüht. Ich ziehe eine Eiche, die nachher noch eine nähere Bedeutung bekommen soll.
Den Anfang kann man sich wie eine typische Mediation vorstellen. Wir schließen die Augen und konzentrieren auf alles im Außen, in dem wir Kontakt mit unserem Inneren aufnehmen. Ich nehme plötzlich wahr, wie gut es riecht. Nach Wald, total frisch, nicht zu warm, aber auch nicht zu kalt. Genau richtig eben. Ebenfalls spüre ich die Mücken an meinen Beinen, die mich aber immer wieder aus der Fassung bringen.
Anschließend gehen wir los. Dabei ist es wichtig in die Langsamkeit zu kommen und in sich hineinzuspüren. Daher geht diese Strecke auch jeder in seinem eigenen Tempo. Die Vögel sind an diesem Tag sehr präsent. Ich konzentriere mich besonders auf das Zwitschern. Es fühlt sich an wie einmal in eine andere Welt abzutauchen, die entschleunigt. Der Boden ist uneben. Ab und zu streichen Gräser sanft meine Beine und die Sonnenstrahlen erwärmen meine Haut. Den starken Geruch nach Kräutern nehme ich an diesem Tag besonders wahr.
Vor dem Waldbaden habe ich mich gefragt, was der Unterschied zum Wandern ist. Auf dieser ersten Strecke bemerke ich den Unterschied jedoch sofort. Auch Sandra Opel bestätigt mein Gefühl im Nachhinein nochmal. Es komme auf den individuellen Menschen an, wie er in die Natur geht, erzählt sie. „Manche, die gehen los und wenn ich nur an meinen Vater denke, der rennt da los. Der nimmt die Dinge auch wahr in irgendeiner Form auf seine Weise. Er liebt es im Wald zu sein. Aber das ist mir halt zu schnell. Ich bin da anders unterwegs und auf jeden Fall hat es genauso einen Mehrwert.“ Ebenfalls, so erzählt sie weiter, helfe das therapeutische Setting, dass man mehr nach innen spüre.
Hierbei kommt manchen Menschen ein Anleiter genauso zugute wie etwa ein Personal Trainer im Fitnessstudio. Manchmal müssen wir uns anderen gegenüber verpflichten, um uns selbst gegenüber einer Verpflichtung einzugehen. Wenn wir wissen, dass uns ein Coach zu einer vereinbarten Zeit erwartet, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir rausgehen, um diese eine Sache zu machen, von der wir wissen, dass sie uns guttut. „Vielen fällt genau das schwer, weil sie es nie gelernt haben, nach innen zu fühlen. Beim Waldbaden kann man das vielleicht noch ein bisschen mehr lernen oder einen Impuls kriegen, muss aber nicht sein.”, sagt Opel. Genau das betont auch Haida Bolton in einem Interview für “Super, Natural British Columbia”. Im Jahr 2016 wurde sie von der Gesellschaft für Nature & Forest Therapy als erste Waldtherapie-Leiterin British Columbias zertifiziert. Bolton sagt gezielt, dass ein Waldtherapie-Leiter kein Therapeut ist. „Der Wald selbst ist der Therapeut.” sagt sie. „Der Wald macht die ganze Arbeit. Der Leiter öffnet einfach nur die Türe zum Wald, um bei der Herstellung der Verbindung zwischen Person und Wald behilflich zu sein.”
Nach der ersten Strecke, die wir für uns allein laufen, stellt Sandra uns allen die Frage, wie das für uns gewesen sei. Auf der einen Seite hat es sich sehr beruhigend angefühlt. Die Sonne schien zwischen den Blättern durch auf unsere Haut. Ebenfalls habe ich das erste Mal die verschiedenen Bäume wahrgenommen. So auch die Eiche von vorhin auf meiner Karte. Sie kräuselte sich.
Man erkennt die Eichen an dem festen Holz, der dicken Rinde und der riesigen Borke. Die Borke ist die äußerste Schicht der Rinde bei den meisten Bäumen. Sie entsteht aus dem Kork und abgestorbenen Teilen des Bastes, einer anderen Schicht im Baum.
Auf der anderen Seite habe ich es als sehr schwer empfunden, sich auf das Innere zu konzentrieren, da sehr viel im Außen stattgefunden hat. Man hört im Waldinneren nicht nur die Sirenen der Krankenwagen, sondern auch Flugzeuggeräusche. Die Leiterin betont aber, dass dies Übungssache sei.
Je tiefer wir in den Wald kommen, desto stiller wird es schließlich auch. Der Geruch der Lindenblüten wird immer prägnanter. Linden riechen zart, kühl und leicht süßlich zugleich. Der Baum lebt förmlich und man hört Unmengen an Hummeln und Bienen summen. Wie Sandra Opel uns verrät, kann man Lindenblätter sogar essen. Sie können Erkältungssymptomen lindern und als Heilmittel verwendet werden. Die Blätter haben durch den Schleim hustenreizmildernde Wirkung. Im April und Mai seien sie besonders lecker, erklärt sie. Am besten eignen sich die kleinen Blätter. Diese kann man einfach kauen und schlucken. Während meiner Recherche habe ich ebenfalls herausgefunden, dass die Blätter roh in Smoothies und Salaten, auf dem Butterbrot sowie in Desserts, als auch gekocht sehr gut schmecken sollen.
Weiter geht es mit dem Waldbad in eine Lichtung. Der Himmel leuchtet strahlendblau ohne eine einzige Wolke am Himmel. Unsere Aufgabe, beziehungsweise der Impuls ist, uns 10 Minuten unter einen Baum zu setzen und wahrzunehmen, was der Wald uns fühlen lässt. Ich lasse mich intuitiv zu einer Eiche leiten. Im Rücken spüre ich die einzelnen Risse in der Rinde. Darüber hinaus nehme ich den sehr starken Holzgeruch wahr. Im Hintergrund zwitschern die Vögel und über meine Haut huscht eine leichte Brise Wind. Unter dem Baum spüre ich das erste Mal das Gefühl von Sicherheit. Ich habe keine Angst mehr hier zu sein und stelle mir sogar vor, genau an dieser Stelle auch mal alleine zu sitzen. Nach der Meditation unter dem Baum berichten manche, dass sie erschöpft seien. Opel erklärt daraufhin, dass jeder Teil des Baumes eine andere Wirkung auf einen habe. Aus der Wurzel könne man sich beispielsweise Kraft ziehen, während die Krone Licht ins Innere bringt.
Daraufhin reicht Sandra uns eine Pflanze und wir sollen erraten, um welche es sich hierbei handelt. Es ist Johanniskraut. Eine Pflanze, von der ich nicht einmal wusste, dass sie in freier Wildbahn vorkommt. Das Kraut kann bei Stimmungsschwankungen helfen und wird daher oft als pflanzliches Antidepressivum gegen Depressionen eingesetzt. „Es blüht zur hellen Jahreszeit und erhellt uns von innen“, erklärt Opel. Nach dem Einnehmen sollte man jedoch den direkten Sonnenkontakt vermeiden.
Bevor ich an der Waldbad-Session teilgenommen habe, habe ich es mir so ähnlich vorgestellt wie eine Gruppentherapie, in der jeder von seinen Problemen erzählt und diese dann in der Natur gelöst werden. Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Sandra Opel erklärt mir, dass das Waldbaden nicht nur für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen geeignet sei, sondern „unbedingt für jeden“. „Wir haben uns in den Wäldern entwickelt und jeder Mensch reagiert, ob er will oder nicht, wenn er in der Natur ist. Selbst wenn es nur biochemische Vorgänge im Körper sind. Aber auch die wirken auf unseren Geist, auf unsere Seele. Und ich kenne auch keinen Menschen, der sagt, mir ginge es nicht besser danach. Vitamin D ist ja auch in aller Munde und die Stoffe, die im Wald sind, die wir einatmen, haben eine Wirkung auf unseren Körper. Sie stärken unser Immunsystem nachweislich.‘‘ Die Geräusche der Vögel beruhigen, wirken auf das vegetative Nervensystem und Bindungshormone wie Oxytocin werden ausgeschüttet. Oxytocin ist als Kuschelhormon, Bindungshormon und Mutter-Kind-Hormon bekannt.
Darüber hinaus erklärt Opel, dass das Waldbaden von Leiter zu Leiter ein bisschen anders aussieht. Waldbaden ist ein Begriff, der nicht geschützt ist. Es gibt also keine Vorgaben, wie eine solche Session ablaufen muss. „Jeder der das macht, hat seinen eigenen Erfahrungsschatz, den er mit einbringt und auch das, was einem am meisten geholfen hat.“ Es komme ebenso darauf an, wer mit welchen Themen da ist. In den zwei Stunden ist es häufig gar nicht möglich, auf persönlichere Themen einzugehen. „Es geht hauptsächlich darum, zu vermitteln, was genau ist denn gerade für eine Energie in der Natur und was macht die mit mir? Wir alle gehen durch den Zyklus des Jahreskreises und wenn wir da wieder in Kontakt mit der Natur kommen, können wir uns selbst nochmal ganz anders kennenlernen.“
Das Waldbaden endet mit einem Erfrischungsgetränk: Natürlich auch aus der Natur. Sandra teilt uns hierfür kleine Becher aus und schenkt uns ein leicht rosafarbenes Getränk ein. Danach stellt sie uns die Frage, was das wohl sein mag. Mein erster Gedanke ist: „Irgendwas mit Kräutern“. Ich verziehe leicht das Gesicht, da es sehr bitter schmeckt und einfach anders, als alles was ich zuvor getrunken habe. Dennoch erinnert es mich an etwas, ich kann aber einfach nicht sagen, an was. Schließlich löst sie das Rätsel auf. Bei dem Getränk handelt es sich um Rosenblütensaft. Da fällt mir auch wieder ein, dass es mich an mein Rosenwasser erinnert, welches ich mir jeden Abend aufs Gesicht auftrage. Rosenblüten haben eine vielseitige Wirkung, nicht nur im medizinischen Bereich, sondern auch bei Unreinheiten und Falten.
Insgesamt ist es ein großes Anliegen der Heilpraktikerin, die Menschen mit der Natur zu verbinden. Das habe ich nicht nur während des Waldbadens gemerkt, sondern auch hinterher im Gespräch mit ihr. Sie besaß einen so großen Wissensschatz über die Natur und konnte beinahe jede Pflanze benennen. Anfangs war ich skeptisch, ob eine einzige Waldbad-Session etwas in mir verändern könne. Dann habe ich aber schnell gemerkt, dass es gar nicht darum geht, etwas Großes zu bewirken oder meine Angst vor dem Wald direkt verschwinden zu lassen. Es geht Sandra Opel hauptsächlich darum, Impulse zu geben, die man dann für sich allein umsetzen kann und das ist ihr definitiv gelungen.

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