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Mein harter Weg zur richtigen Diagnose

Aktualisiert: 25. März

Heute will ich über ein Thema schreiben, was mir wirklich sehr am Herzen liegt – meine Krankheit… Spoileralert: Es geht nicht um meine Nebendiagnosen Depression, Essstörung und Angststörung. Oh Gott, hört sich an, als hätte ich alles auf einmal, aber Leute ich bin auch nur ein normaler Mensch und ich bin nicht meine Krankheit, sondern sie ist nur ein Teil von mir. So viel schon mal vorab…


Vor mittlerweile über einem Jahr habe ich endlich eine Erklärung für alles erhalten. Wieso ich Angst habe, neue Bindungen einzugehen. Wieso ich Menschen, sobald ich sie gerade näher kennengelernt habe, sofort wieder fallen lasse, sobald es enger wird. Eine extreme Eifersucht verspüre, obwohl es keinen Grund dazu gibt. Ich ohne Medikamente an enormen Stimmungsschwankungen und Schwarz-Weiß-Denken leide. Ich ständig Angst habe, allein zu sein oder Menschen zu verlieren. Und wieso ich so oft wie in einer anderen Welt gefangen zu sein scheine und nichts um mich herum mitbekomme, sobald mich eine Situation triggert.

Lass mich alleine, aber hilf mir!" ~ Antonia Wesseling

Letztes Jahr befand ich mich wieder in einer schwierigen Phase, in der ich nicht mehr weiterwusste. Ich dachte, vielleicht schaffte ich es ja jetzt auch mal ohne Therapie. Doch dann kam wieder meine extreme Angst verlassen zu werden. Von meinem Freund, von all meinen Freunden. Ich habe mich unsagbar allein gefühlt, obwohl ich von so vielen Menschen umgeben war. Also griff ich eines Tages zum Handy und rief den Ärztlichen Bereitschaftsdienst an. Zuvor hatte ich schon unzählige Therapeutinnen in meiner Umgebung kontaktiert. Aber wie erwartet hieß es bei allen: Kein Platz mehr oder wir führen keine Warteliste. Also war die 116 117 meine letzte Rettung. Ich kenne mich gut und wusste zu diesem Zeitpunkt, ich brauche länger Hilfe und nicht nur für eine kurze Zeit einen stationären Aufenthalt, nur um danach wieder alleine dazustehen, wie davor das Jahr. Wie auch immer habe ich glücklicherweise relativ schnell einen Termin bei einer Therapeutin bekommen.*


Mit meiner Therapeutin verstand ich mich auf Anhieb sehr gut. Wir spielten uns ein, ich erzählte ihr meine Lebensgeschichte und etwas Zeit verging. Nach einigen Wochen stellte sie mir eine Frage. Eine Frage, auf die ich nicht vorbereitet war und die Vieles für mich veränderte. „Haben Sie schonmal etwas von der Borderline-Erkrankung gehört?“ Was soll ich sagen? Bereits mein Exfreund hat mich nach der Trennung auf diese Krankheit angesprochen, weil er vermutete, dass ich betroffen sein könnte. Aber auch so hatte ich in meiner Schulzeit viel darüber gelesen, weil ich bereits damals so eine Vermutung hatte. Ich dachte oft, das passt zu mir. Als ich damals meinen ehemaligen Therapeuten damit konfrontierte, musste er mir mitteilen, dass er diese Krankheit erst mit 18 Jahren diagnostizieren könne, weil sich in der Pubertät noch viel im Körper verändere und die extremen Stimmungsschwankungen auch damit zusammenhängen können.


Seitdem habe ich mir selbst genau das eingeredet. „Es liegt nur an der Pubertät. Das geht bald vorbei.“ Dass ich jedes Mal, als mein damaliger Freund etwas ohne mich unternehmen wollte, komplett abgestürzt bin, mich selbst verletzt habe und extrem verzweifelt versucht habe, dass er bei mir bleibt, machte mir damals schon Angst. Ich wusste tief in mir drin, dass mein Verhalten nicht normal war. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als ich meine Schreibtischfüße aus meinem Schreibtisch rausgerissen hab und vor Verzweiflung so laut geschrien hab, dass man es bis draußen auf die Straße gehört hat, wusste ich es. Ich hab immer geschrien, geweint. Weil ich so Angst hatte, ihn zu verlieren. Er konnte mir dabei so oft wie er will sagen, dass er niemand anderen, als mich möchte. Das wollte mein Kopf und mein Herz nicht verstehen. Und so wurde eine Zeit in meinem Leben, die so schön sein sollte für mich zur schwersten Phase in meinem Leben. Bei Freunden ging es mir ähnlich. Da sind heute noch Menschen, die ich tief in mir drin als meine besten Freunde bezeichnen würde, für die ich heute noch alles geben würde, obwohl wir lange keinen Kontakt mehr haben.


Jedenfalls war die Diagnose nach diesem Zeitpunkt, in dem ich sie zum ersten Mal angesprochen habe, kein Thema mehr in meinem Leben. Danach folgten nur Klinikaufenthalte und weitere Therapien, die alle nur meine vorhandenen Diagnosen übernommen haben: Depression und Soziale Phobie **. Heute frage ich mich, wie es dazu kommen konnte, dass jemandem wie mir eine Soziale Phobie diagnostiziert werden konnte. Ich, die es liebt im Mittelpunkt zu stehen, die es liebt neue Menschen kennenzulernen und die noch nie ein Problem damit hatte, auf Menschen zuzugehen. Das mag vielleicht in einzelnen Lebensphasen der Fall gewesen sein, aber längst nicht ein Dauerzustand, sondern eher die Ausnahme. Das hat sich auch meine neue Therapeutin vor knapp einem halben Jahr gefragt. Erst da wurde mir klar: Ja, ich war zwar die letzten zehn Jahre immer wieder in Therapie, aber seit einiger Zeit schon wird einfach die falsche Diagnose behandelt. Nicht falsch verstehen: Vor allem die Klinikzeit hat mir enorm geholfen. Weil wie eingangs bereits erwähnt, ich habe eine Depression. Jedoch ist sie ja nur die Nebendiagnose.


Allerdings war ich knapp ein Jahr in einer Gruppentherapie, die auf Soziale Phobien spezialisiert war. Diese Therapie wurde über mein Stundenkonto über die Krankenkasse abgerechnet. Wer auch schon Therapieerfahrung hat, weiß, wie unfassbar schwer es ist, eine neue Therapie genehmigt zu bekommen, wenn man die letzten zwei Jahre bereits in psychologischer Behandlung war. Meine Therapeutin hat aber viel versucht, sodass mir letzten Ende zumindest zwölf  Stunden für den Anfang genehmigt wurden.


Als es dann soweit war, dass ich zum ersten Mal eine Erklärung für alles hatte und das auch aus dem Mund einer professionellen Psychologin hörte, fing ich an, mich mehr und mehr mit der Borderlineerkrankung zu befassen. Ich las unzählige Artikel und Bücher zu dem Thema und erkannte mich mehr und mehr wieder. Jetzt verstand ich auch, weshalb meine Psychische Erkrankung trotz harter Arbeit und jahrelanger Therapie nicht weggeht. Denn die Borderlinestörung zählt zu den Persönlichkeitsstörung. Das bedeutet, dass die gestörten Persönlichkeitsstrukturen tief in meiner Persönlichkeit verankert sind und nicht mit einer reinen Gesprächstherapie zu behandeln ist. Man kann die Erkrankung also nur mit einer speziellen Behandlungsmethode angehen beziehungsweise verbessern. Leider bedeutet das aber auch, dass diese Krankheit ein Leben lang im Register der Krankenkassen bleibt und nicht wie eine Depression oder Angststörung irgendwann gestrichen werden kann. Deshalb sind viele Therapeut*innen auch sehr vorsichtig bei solchen Diagnosen.


Meine Therapeutin sprach ganz offen und ehrlich an, dass sie nicht auf Borderline spezialisiert sei, mir aber gerne, wenn ich das möchte, zur Seite steht. Sie gab mir Kontakte zum DBT-Netzwerk in meiner Umgebung weiter. DBT bedeutet Dialektisch Behaviorale Therapie und ist eine Form der kognitiven Verhaltenstherapie, die meistens in Gruppen stattfindet und sich auf Borderline-Patient*innen spezialisiert. So eine Gruppe dauert ungefähr ein Jahr und man erlernt Skills, wie man in Krisensituationen handelt. Ein großer Anteil ist dabei

ebenfalls ein Achtsamkeitsmodul, was immer wieder

angewendet wird. Falls euch mehr dazu interessiert,

lest ihr hier mehr.


 Ich hatte sehr viel Glück, so schnell einen Gruppenplatz zu bekommen. Seit knapp zwei Monaten bin ich nun in einer solchen Gruppe mit Menschen, denen es genauso geht, wie mir. Die Ähnliches erlebt haben. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber mit Menschen zu sprechen, die dich wirklich verstehen und nachempfinden können, wie du dich gerade fühlst ist so viel wert. Dafür bin ich unglaublich dankbar.


Und noch eine Sache zum Schluss: Als ich mir vor kurzem alte Unterlagen aus meiner damaligen Therapie angeschaut habe, von der ich ganz am Anfang gesprochen habe, ist mir aufgefallen, dass es sich um nahezu identische Arbeitsblätter handelt. Sprich, mein Therapeut hat bereits damals mit mir solche Übungen und Skills angefangen zu trainieren, aber es nie richtig betitelt, wofür ich das jetzt mache. Zumindest habe ich es nie mitbekommen. Da ich ein Mensch bin, der immer alles analysiert und einen Grund braucht, um etwas zu verstehen, wäre es in dem Fall hilfreich gewesen, das Kind beim Namen zu nennen. Dann wäre ich vielleicht schon viel früher an dem Punkt gewesen, an dem ich heute bin. Lag aber vielleicht auch daran, dass ich damals bei einem Kinder- und Jugendpsychotherapeut war und nicht bei einem Erwachsenentherapeuten…


All in All bin ich ziemlich froh, jetzt eine Erklärung für alles zu haben. Das kann mir persönlich bei der Heilung so unglaublich viel helfen.

 

Im kommenden Text möchte ich euch von einem Erlebnis in Zusammenhang mit der Erkrankung erzählen. Bitte lest den vorherigen Text unbedingt vorher. Den folgenden Text habe nach einer Nacht geschrieben, in der es wieder besonders schlimm war. Für alldiejenigen, die interessiert, was in solchen Momenten in meinem Kopf oder auch im Kopf von anderen Borderlinern abgeht, kann sich den Text gerne durchlesen. Der Text ist bereits im November entstanden, bevor ich in die Gruppentherapie kam, daher konnte ich viele der Skills noch nicht anwenden. Für mich ist das der persönlichste Text, den ich je geteilt habe, daher bitte ich euch, respektvoll und vorurteilslos damit umzugehen. Ich bin nicht immer und in jeder Sekunde so und genau deswegen jetzt in therapeutischer Behandlung. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, den Artikel erst jetzt zu veröffentlichen, wo es mir wieder besser geht. Bitte macht euch deswegen keine Sorgen um mich, mir geht es von Zeit zu Zeit besser ;).

Falls ihr euch gerade mental nicht so gut fühlt, lest den Text vielleicht nicht unbedingt allein oder jetzt im Moment. Er könnte euch triggern.


Anmerkungen zum obigen Text:

*Das hier ist die gekürzte Version, wie ich zu dem Therapieplatz gekommen bin. Wenn ihr mehr dazu wissen wollt, schreibt mir gerne :).

** Ja, es wurden z.B. in der Klinik Diagnostikverfahren angewendet, aber meist nur die Standartfragebögen zu Depression und Angststörung, wozu theoretisch auch alle Symptome passen.

 

Mein Erfahrungsbericht: Wie sich Borderline anfühlen kann

Nicht die Herrin über seine eigenen Gedanken zu sein, fühlt sich nicht einfach nur scheiße an. Es fühlt sich an, als wäre ein Dämon in meinem Kopf gestiegen, um mein gesamtes Leben auf einen Schlag zu ruinieren. Es schleicht sich nicht an, sondern trifft mit voller Wucht in deine Adern, deine Haut, meine Haut. Drei Jahre, vier Monate und fünfundzwanzig Tage ist es her, als ich dem Dämon das letzte Mal begegnet bin. Als ich nicht nur meinen Mitmenschen Angst gemacht habe, sondern vor allem mir selbst. Alles, was ich in diesen Minuten gespürt habe, war purer Hass und pure Verzweiflung. Gegen den Menschen, den ich zu diesem Zeitpunkt geliebt habe. Und zu mir selbst. Die Narben sehe ich bis heute auf meiner Haut. Seit diesem Vorfall ist das in dem Ausmaß nicht nochmal vorgekommen. Ich war oft außer mir, habe Dinge aus Wut kaputtgeschlagen. Aber ich habe nie wieder so einen Hass verspürt.


Bis heute. Bis gestern Nacht. Der Unterschied zu damals: Es gab keine Vorankündigung, keine Warnung. Das Dämon ist einfach in meinen Körper geklettert und hat mich besessen. Voller Wut, voller Hass. Eigentlich wollte ich nur bei einer Freundin übernachten, weil mein Freund mit Freunden unterwegs war. Ich konnte aber nicht schlafen, weil ich mir dauerhaft Gedanken darum gemacht habe, was mein Freund jetzt wohl macht. Also hab ich meine Sachen zusammengepackt und bin raus an die frische Luft gerannt. Am liebsten hätte ich die ganze Welt auf einmal zusammengeschrien. Stattdessen zog ich meine Tasche durch den Dreck und die unzähligen Pfützen hinter mir her und lief. Ich lief sehr schnell. Jede rote Ampel überquerte ich, ohne einen Gedanken daran, stehen zu bleiben. Ich wollte einfach nur nach Hause. Wollte was zu trinken, wollte meine Beruhigungsmittel. Ich wollte, dass mein Kopf endlich wieder mir gehörte, wollte das Dämon betäuben. Also kippte ich mir, zuhause angekommen erstmal die angebrochene Falsche Wein rein, nachdem ich den Kaktus vom Wohnzimmertisch geworfen und sich die ganze Blumenerde auf dem Boden verteilt hatte. Es war zwar nicht so viel, aber angesichts dessen, dass ich seit über zwölf Stunden nichts gegessen hatte, schon gefährlich. Aus den zwölf Stunden wurden schließlich 26 Stunden.


Unterdessen kippte ich noch ein Glas Milch dazu, um meiner Wut endgültig den Freiraum zu geben, den sie braucht. Die Schwärze, von der ich umhüllt war, wurde nicht weißer. Das Grau verwandelte sich in das dunkelste Schwarz. Ich war wie besessen von dem Dämon. Von dem Hass. Und das machte nicht nur mir Angst, sondern auch meinem Freund, der mich zuvor noch nie so erlebt hatte. Der hat mich nach vielen terrorisierenden Nachrichten nämlich zuvor bei meiner Freundin abgeholt.


Ich konnte jedem jene Situation vor drei Jahren nur schildern, aber niemand außer zwei Personen hat wirklich mitbekommen, was damals in mir los war.


Mit voller Wucht trank ich den Schmerz weg. Anschließend zerstückelte ich meinen Fächer in tausend Einzelteile. Ein Stück davon nahm ich mit ins Bett. Ich musste den Schmerz einfach spüren. Den Schmerz, den ich anderen zufüge, aber auch der Dämon mir. Also begann ich langsam, meinen Arm aufzuschlitzen. Es fühlte sich befreiend an. Der Schmerz ließ mich auch wieder was anderes als Hass spüren. Ich hatte Angst und trotzdem wollte ich das. Als mein Freund das Ganze bemerkte, zog er mir die Plastikscherbe weg und versuchte mit mir zu sprechen. Der Einzige, der in dem Moment mit ihm sprechen konnte, war mein Hass in mir, nicht ich. Alles, was ich gesagt habe, traf mich, aber wahrscheinlich auch ihn wie ein Messer ins Herz. Ich drehte die Wahrheit. Ich drehte alles um.


Kurze Zeit später nahm er mich in den Arm und ich weinte. Weinte so sehr um ihn, um uns. Mir tat alles so schrecklich leid. Ich wollte das alles doch gar nicht. Ich hatte so Angst, ihn damit endgültig zu verlieren. Der Gedanke zerstörte mich komplett.


Bis jetzt kann nichts das rechtfertigen, was ich gesagt oder gemacht habe. Und trotzdem möchte ich meine Geschichte erzählen. Weil ich so oft die Narben anderer sehe. Weil ich so oft sehe, dass ich nicht allein bin. Wenn ihr euch nicht gesehen fühlt, ich sehe euch. Ich sehe auch, dass es nicht eure Absicht war, euch das anzutun. Ich weiß, wie schwer es ist, sich das alles einzugestehen. Das braucht Zeit. Jahre und vielleicht Jahrzehnte. Aber die müssen wir uns geben. Gemeinsam mit professioneller Hilfe.


Ich gehe den Kampf an. Für mich, für meine innere Liebe, aber auch für alle Menschen, die mich lieben und die ich liebe. Auch, wenn ich mir oft einrede, dass es diese Menschen nicht gibt. Aber mindestens eine Person wird es immer geben. Wenn auch noch nicht jetzt in diesem Moment. Ich glaube jetzt, zwölf Stunden nach dem Vorfall, dass es besser werden kann, wenn ich dran arbeite. Trotzdem will ich, dass ihr wisst, dass es in meinem Fall besser gewesen wäre, in die Notfallaufnahme zu gehen. Auch, wenn es sich nicht schlimm genug anzufühlen scheint. Sobald ihr euer eigenes Leben aufs Spiel setzt, IST es verdammt nochmal ein Notfall!


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Hi, danke fürs Vorbeischauen!

Mein Name ist Saskia Schleyer. Ich bin tollpatschig, meistens organisiert und schreibe für mein Leben gern. Aktuell studiere ich Journalismus, was mir sehr viel Spaß bereitet. Nebenbei arbeite ich beim Südwestrundfunk. Wenn ich nicht gerade am schreiben bin, singe ich oder gehe mit meinen Freunden feiern.

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