Lebst du schon oder erfüllst du noch Erwartungen?
- Saskia Schleyer
- 26. Aug. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Aug. 2023

Manchmal frage ich mich, wie man nach der Schule, wenn man vielleicht gerade so volljährig geworden ist, schon die Entscheidung für sein Leben treffen soll, was man später beruflich machen will. Man hat sein ganzes Leben vom Kindergarten bis zur Grundschule und zur weiterführenden Schule vorgegeben bekommen, wie man zu leben hat. Bis zum 9. Schuljahr ist man in Deutschland schulpflichtig. Bis dahin muss man keine eigenen Entscheidungen treffen. Zumindest keine lebenseinschneidenden Entscheidungen. Ja und dann ist all das plötzlich vorbei. Vorgaben gibt es keine mehr und jetzt liegt es ganz alleine an dir, die richtige Entscheidung zu treffen. Was die meisten dann heutzutage machen? Ein Abitur, weil sie sich verständlicherweise noch nicht reif genug fühlen zu entscheiden, was sie jetzt nach der Schule machen wollen. Sie möchten diese wichtige Entscheidung erst einmal knapp drei Jahre hinauszögern, weil sie Angst haben. Angst vor dem, was danach kommt, wie es weitergeht…
Leider kommt auch oft die Erwartungshaltung anderer hinzu. Viele Eltern derer, die ich kennengelernt habe, erwarten den bestmöglichen Abschluss ihres Kindes. Vielleicht, weil sie selbst bereut haben diesen Abschluss nie gemacht zu haben. Entweder, weil ihnen die Möglichkeiten dazu gefehlt haben, keiner an sie geglaubt hat oder sie aus einer Arbeiterfamilie kamen, in der es nicht üblich war ein Abitur inklusive Studium zu absolvieren. Die Gründe sind aber eigentlich egal. Fakt ist, dass sie von ihren Kindern unausgesprochen erwarten, etwas Bestimmtes zu erreichen. Ich bin überzeugt davon, dass der Großteil aller Eltern nur das Beste für seine Kinder will, aber sie vergessen dabei viel zu oft, was für einen enormen Druck das erzeugt. Man traut sich in einem solchen Fall als Kind gar nicht, seinen Gedankengang an seinen Traumberuf oder einer Ausbildung zu Ende zu führen, weil man Angst hat zu versagen. Weil man Angst hat, seine Eltern, die einem doch das meiste bedeuten, zu enttäuschen. Und da man selbst ja wie bereits erwähnt, noch viel zu jung ist, eine solche wichtige Entscheidung zu treffen, übernehmen diese die Eltern. Dass man in dem, was man macht, total unglücklich ist, merkt keiner, weil man einfach perfekt darin ist, die Wahrheit zu verbergen. Für mich ist es wie die Frage, wie es mir geht. Man antwortet in den meisten Fällen, dass es einem gut geht, weil man keine große Lust hat, zu erklären, was einen gerade so beschäftigt. Beim Werdegang ist es ähnlich. Fragen einen Verwandte oder Bekannte wie einem das Studium oder die Ausbildung gefällt oder wie die Schule läuft, antwortet man meistens ,,gut‘‘. Zum einen, weil man Angst hat, seinen realen Gedankengängen den Freiraum zu verschaffen und zum anderen, weil man Angst vor der Realität hat oder keine Lust hat darüber zu sprechen.
Was einen dann zuletzt und am allermeisten daran hindert, seine eigene Entscheidung zu treffen oder sich im Laufe eines Weges umzuentscheiden, ist die Erwartungshaltung der anderen und die Gedanken, was die anderen wohl über einen denken und die Versagensangst. Als ich damals mit einer Fachhochschulreife abgegangen bin (ja, ich sage bewusst nicht, dass ich abgebrochen habe), habe ich mir ständig solche Gedanken gemacht. Ich wusste ganz genau, dass alle von mir erwartet haben, dass ich Abitur mache. Klar, meine Noten und meine Mitarbeit haben auch größtenteils dafürgesprochen. Aber es kam halt leider eine Krankheit dazwischen, die ich jahrelang konsequent ignoriert und mir ausgeredet hatte. Bei anderen war es vielleicht so, dass sie gemerkt haben, dass der Weg, den sie gerade gehen, doch nicht der Richtige für sie ist. Und auch das ist völlig menschlich. Man trifft im Leben nun mal manchmal Entscheidungen, die sich im Laufe der Zeit ändern können. Vielleicht hatte man aber auch zu Beginn der Ausbildung, des Studiums oder des Schulweges/ … auch einfach noch nicht den Mut dazu, seinen eigenen individuellen Weg zu gehen, weil es einem alle in der Familie anders vorgelebt haben. Mut braucht Zeit und kommt nicht von einem auf den anderen Tag.
Um nochmal zurück zur Versagensangst zu kommen, von der ich eben gesprochen habe: Es wird einem in dieser Gesellschaft von klein auf eingetrichtert, dass du nur diszipliniert bist, wenn du etwas vollendest und nicht mittendrin abbrichst. Du bist ein Versager, wenn du aufgibst, ein Looser, wenn du dich umentscheidest. Meiner Meinung nach bist du aber doch diszipliniert und zielstrebig, wenn du deinen EIGENEN Wünschen und Träumen nachgehst und nicht den Erwartungen der anderen , die eigentlich gar nicht deinen Wünschen entsprechen. Die Erwartungen der anderen werden zu deinen eigenen, weshalb du dir selbst wahrscheinlich auch einredest, ein Versager zu sein, wenn du die Schule aufhörst, deinen Studiengang oder deine Ausbildung änderst etc. Du redest dir selbst ein, dass die Zeit, die du bis jetzt in diesen einen Weg, der von dir erwartet wurde, hineininvestiert hast, verschwendete Lebenszeit wäre. Dass du all das Gelernte umsonst gelernt hast. Aber weißt du was? Du wirst mit allem was du lernst schlauer. Alles was du lernst, bringt dich weiter. Ob in deiner eigenen Entwicklung oder im späteren Werdegang spielt dabei keine Rolle. Meiner Meinung nach ist es verschwendete Lebenszeit, wenn du noch weiter und weiter die Erwartungen anderer erfüllst, anstatt dein eigenes Leben zu leben.
Denn Menschen, die dir dein Bestes wollen und dich lieben, werden dich in deiner Entscheidung unterstützen. Das Einzige, was ihnen wichtig ist, ist, dass du glücklich bist und dass es dir gut geht. Und das funktioniert auf Dauer nur, wenn du bei dem, was du machst, mit vollem Herzblut dabei bist. Und jetzt leb dein Leben mit den von dir selbst getroffenen Entscheidungen.
(Hier erzähle ich hauptsächlich von Geschichten und Situationen, die ich von Freunden und Bekannten mitbekommen habe, die aber nicht zu hundert Prozent meinen eigenen Erfahrungen entsprechen. Also falls du das liest Mama: Danke, dass du von mir nicht erwartest hast, immer mit den besten Noten heimzukommen und mich in meinen Entscheidungen immer unterstützt hast. Ein Satz von meiner Mama, den sich viele Eltern vielleicht mal hinters Ohr schreiben sollten, wenn das Kind mal mit einer schlechten Note nach Hause kommt, um ihren Kindern den Druck zu nehmen: ,,Ach, das passiert jedem mal. Beim nächsten Mal wird’s bestimmt wieder besser:‘‘)
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